Anne

SehnSucht und Hoffnung

Eine Lebensgeschichte

Sehnsucht und Hoffnung

Mein Name ist Anne, heute mit 58 Jahren, bin ich eine zufrieden abstinent lebende Alkoholikerin, 13 Jahre trocken.

Der Weg bis dahin war -lang-schwer- und sehr oft auch schmerzhaft!

Ich habe hier meine Geschichte aufgeschrieben, um möglichst vielen Leuten Mut zu machen, zu zeigen, dass es immer Wege gibt zu einem Leben ohne Suchtmittel und dass man nie die Hoffnung aufgeben soll.

Schon mein Vater war Alkoholiker und hat mein Leben unter anderem auch mit Gewaltausbrüchen unter Alkoholeinfluss sehr beeinflusst.

Der „Freund Alkohol“ kam schon sehr früh in mein Leben. Er gab mir Trost, nahm mir Hemmungen, brachte mir den Schlaf! Mit ungefähr 12 Jahren habe ich schon Bier getrunken, auch alleine in meinem Zimmer, es hat mir geholfen mein Zuhause zu ertragen. Schnell habe ich gemerkt, dass ich mich damit gut „wegmachen“ kann! Das Gefühl „es ist genug oder mehr sollte ich nicht trinken“ - ich hatte es nie.

Mit 13 Jahren lernte ich meinen Mann kennen, ich sah ihn ab sofort als meinen Beschützer an, auch vor den Gewaltausbrüchen meines Vaters. Alkohol trinken war für meinen Mann auch damals schon das normalste von der Welt. 

Wir haben früh geheiratet – bekamen zwei Söhne und der „Freund Alkohol“ war immer dabei. Natürlich da schon oft viel zu viel! „Filmrisse“ waren auch da schon oft am Wochenende dabei und was ganz Normales.

Irgendwann kam für mich eine große Krise. Meine Oma starb, mein Mann hatte einen schweren Unfall mit dem Motorrad, unser jüngster Sohn musste für eine OP in eine Klinik. Bis dahin hatte ich immer alles, Kinder, Haushalt, arbeiten gehen, soweit gut gemeistert, so nach dem Motto: „Anne macht das schon!“ So war es mir beigebracht worden oder ich hatte es mir so auferlegt. 

Aber auf einmal konnte ich nicht mehr, bekam Angstzustände und Panikattacken in engen Räumen, im Aufzug, hohen Blutdruck, noch mehr Angst und so weiter.

Körperlich fand der Arzt nichts, also erst mal Entspannung lernen, Tabletten zum ruhiger werden und dann meine erste Gesprächstherapie. Da sich bekanntlich ja Tabletten nicht in Kombination mit Alkohol vertragen, legte der Arzt mir natürlich nahe, darauf zu verzichten. Da ich mir nur sehr schwer vorstellen konnte, keinen Alkohol zu trinken, suchte ich in meinem Mann einen Verbündeten. Der hat sich auch alle Mühe gegeben, konnte das aber auch recht schnell lassen. Ich habe ja gemerkt, wie schwer das für ihn war und habe es dann auch so gedreht, dass ich großzügig zugegeben habe, dass ich ja das Problem mit Medikamenten nehmen habe und nicht er! Haben konnte ich das dann zwar nicht, dass er trinken „durfte“ und ich nicht, aber dank der Medikamente konnte ich ganz gut „ohne“ für eine Zeit!

In dieser Zeit wurde mir aber sehr deutlich bewusst, dass der Alkoholkonsum in unserem Leben schon lange nicht mehr NORMAL war.

Aber das Leben ging weiter. Nach ein paar Monaten wurden dann auch die Medikamente abgebaut und endlich „durfte“ ich auch wieder trinken und die Welt war soweit wieder in Ordnung!

Mit knapp 40 Jahren musste ich aus körperlichen Gründen eine Umschulung machen. Ich war gelernte Verkäuferin, konnte aber wegen Rücken- und Fußproblemen nicht mehr in dem Beruf arbeiten. So wurde ich zur Bürokauffrau umgeschult. Habe ich auch geschafft, auch wenn es ganz schön anstrengend war, sich abends mit dem Alkohol so zu bremsen, dass ich am anderen Tag in der Schule und im Praktikum einigermaßen klarkam. In dieser Zeit sind mein Mann und ich öfter am Wochenende zur Entspannung in ein Wochenendhaus ins Sauerland gefahren. Ich glaube, ab da fing mein Mann damit an, dass wir ja auch zum Frühstück ruhig schon mal einen Sekt trinken können oder auch am Nachmittag schon mal was an Alkohol. Für mich war das gar nicht gut, ich konnte dann gar nicht mehr so konzentriert lesen, dabei war ein Buch lesen für mich die schönste Entspannung. Aber ich habe mitgemacht, warum auch immer.

Umschulung war fertig, Arbeit finden sehr schwer. Mal hier eine Stelle über Zeitarbeit, mal da was, mal eine Anstellung, die aber in der ersten Woche schon wieder weg war weil die Seniorchefin bei der Einstellung nicht dabei war und mich dann nicht leiden konnte und noch andere unbefriedigende Arbeitsstellen.

Mein Selbstwertgefühl ging dann mit der Zeit immer mehr in den Keller, der Alkoholkonsum dafür in die Höhe!

Bestätigung habe ich mir nur noch in den Kreisen geholt und bekommen, wo wir uns bewegt haben, also in der Kneipe unter Gleichgesinnten. Ich habe meinen Mann immer geliebt, aber reden über alles konnten wir nicht. Mein Mann wollte auch nicht reden, wollte und konnte mir und sich selbst wahrscheinlich auch nicht helfen. Wir lebten uns auseinander, jeder war mehr mit seinem „Freund Alkohol“ zusammen oder mit anderen Bekannten oder Verhältnissen. 

Mittlerweile waren wir schon 25 Jahre verheiratet, also Silberhochzeit, lebten aber nicht mehr miteinander, sondern nebeneinander her. 

Mir ging es damit echt Sch...! Ich hatte wieder mehr Angstzustände, habe versucht sie mit Alkohol zu bekämpfen, ging natürlich nicht. Morgens ging es mir schon schlecht, habe mich geschämt vor mir selbst!!!!!

Da meinem Mann auch nichts mehr an mir lag, so dachte ich damals, habe ich mich von ihm getrennt. Eigene Wohnung, die erste in meinem Leben, mein Mann hat mir bei allem geholfen, mich auch mit Geld versorgt. Aber ich wurde nur immer unruhiger, wollte nicht ohne meinen Mann sein, wollte aber auch nicht so ein Leben führen, wo Trinken das wichtigste ist und hab dann zu mir selbst gesagt:  

So will ich nicht mehr leben!

Habe mich an die Caritas gewandt, hatte da Gespräche, eine Therapie wurde beantragt und genehmigt. Ich bekam eine Therapie im Rheinland in Gut Zissendorf, eine Frauenklinik. „Hä? Frauenklinik?“ habe ich für mich gedacht, „was soll das denn, da bekomme ich ja gar keine männliche Bestätigung und finde auch gar keinen Beschützer!“ Aber ich habe es gemacht, habe die Therapie angetreten, wollte ja mit dem Trinken aufhören. Hauptsächlich aber sollte mein Mann mal merken, wie das ist, wenn ich nicht mehr da bin. Kontakt hatten wir natürlich nach wie vor, bin ja auch wenn ich konnte zu ihm gefahren. Ein Auto hatte ich ja dank ihm immer zur Verfügung! 

In der Therapie habe ich dann mit meiner Therapeutin entschieden, nicht mehr zu meinem Mann zurückzugehen, sondern mir ein Zimmer in einer der Klinik angeschlossenen WG zu nehmen. Meine Wohnung hat mein Mann dann aufgelöst. Eine Arbeitsstelle fand ich auch sofort, ich war ja so stark, und so trocken! Nur konnte ich mich ja nicht von meinem Mann lösen, bin bei jeder Gelegenheit hingefahren, habe mich demütigen lassen, er hat ja getrunken, mehr wie vorher, nun denn, ich brauchte das wohl noch so.

Etwa ein Jahr ging das so, dann habe ich die Arbeitsstelle wieder verloren. Also auch kein Grund mehr in der für mich ja immer noch fremden Gegend zu bleiben, endlich die WG zu verlassen und wieder in die alte Heimat zu gehen. Bei einem Bekannten konnte ich erst mal wohnen, der war natürlich auch Alkoholiker. Ich habe mich wieder in die alten Kreise begeben, habe da ganz toll die Rolle der trockenen Anne gespielt, was war ich stolz, habe alle „Alks“ chauffiert, habe mich bewundern und auch viel verletzen lassen. 

Das ging natürlich nicht lange gut, ungefähr ein halbes Jahr, dann hatte ich auch „endlich“ wieder mein erstes Bier getrunken. „Ich kann das doch wohl, nur mal ein Bier trinken hin und wieder!“ Natürlich konnte ich es nicht! In recht kurzer Zeit war ich wieder richtig dabei. Keine Arbeit, viel Scham wieder so abgesackt zu sein, keine Wohnung, von dem Bekannten wurde das Haus verkauft, ich „durfte“ dann wieder bei meinem „noch Ehemann“ einziehen obwohl die Scheidung eingereicht war. 

Nichts zu tun, konnte ich ja dann auch ruhig schon morgens mal ein Sektchen trinken, dann merkt man auch nicht so viel, von der Scham, der Aussichtslosigkeit, Rastlosigkeit, die in mir war. Dann natürlich gegen Abend raus, unter die Leute gehen, natürlich in die Kneipe, hatte ja alle meine Freunde wieder, war ja wieder wer, gehörte ja wieder dazu. 

Das habe ich aber nur kurze Zeit gemacht. Mir war nämlich recht schnell klargeworden, dass ich wirklich trocken werden wollte! Für mich ganz alleine, nicht um irgendjemandem was zu beweisen, sondern um mir selber ein besseres Leben aufzubauen. Aber einfach so aufhören mit dem Trinken? Dazu war ich alleine nicht in der Lage!  

Also das Ganze von vorne! Mit viel Scham zur Caritas, Gespräche, eine neue Therapie beantragen. Das dauert natürlich alles seine Zeit. Mittlerweile hatten wir auch unseren Scheidungstermin hinter uns gebracht, was für uns beide sehr schlimm war, aber wir haben das mit viel Alkohol „gemeistert“!

Durch die Gespräche bei der Caritas hatte ich recht bald eine Vorstellung davon, wie mein Weg aus der Sucht aussehen soll: In die Therapie, dann in ein Adaptionshaus -  noch nie von gehört - und ganz neu irgendwo anfangen. Einfach gesagt und aufgeschrieben, aber das war es ganz und gar nicht!

Den Weg in die Therapie bin ich mit zwei riesigen Koffern angetreten, alle meine Papiere, die für mich wichtig waren, hatte ich dabei. Die Therapie habe ich in Norddeutschland gemacht. Von da aus musste ich mich auch um einen Platz in einem Adaptionshaus bemühen. Adaptionshäuser gibt es nun nicht unbedingt in jeder Stadt, also schauen, wo es mich wohl hinziehen würde. Das erste, welches in Frage kam, war viel zu nah an meiner Heimat, das nächste und auch erste was ich mir angeschaut habe, in Hamburg. Da ich aus einer recht kleinen Stadt komme, war mir die Stadt Hamburg zu groß, ich konnte mir nicht vorstellen da zu wohnen. Ein Haus war in Koblenz. 

Während meiner ersten Therapie hatte ich mich mit einer Frau angefreundet, die in Koblenz gewohnt hat, mit ihr war ich schon in Koblenz gewesen, die Stadt, der Rhein, alles das fühlte sich für mich gut an.

Also bewarb ich mich da und schaute mir das Haus auch an, bekam Bescheid, dass ich da hinkommen kann. Also nach Therapieende auf nach Koblenz. Es war nicht schön im Adaptionshaus, erst zu zweit auf einem Zimmer, dann ein kleines Zimmer alleine, sehr viel verschiedene Leute da, Männer und Frauen, oft Vorfälle mit Alkohol und Drogen. Bewerbungen schreiben wegen Arbeit, Wohnung suchen, eine Praktikumsstelle suchen, das alles in einer Stadt, wo ich mich doch überhaupt nicht auskannte. 

Mit meinem zu der Zeit geschiedenem Mann hatte ich nur noch wenig Kontakt. Ich wollte das so. Er trank ja weiter und mir tat das nicht gut, ich wollte mich lösen. Aber ich habe sehr unter der Trennung und Scheidung gelitten, es war als ob mir ein Bein oder ein Arm fehlte! Mit den Kindern hatte ich Kontakt per Telefon oder SMS. 

Etwas geholfen hat mir die Freundschaft mit der Frau, die ich aus der ersten Therapie kannte. Auch im Adaptionshaus habe ich recht schnell einen sehr guten Freund gefunden. Wir hatten sehr schnell festgestellt, dass wir auf einer Wellenlänge sind und wir uns, nicht als Mann und Frau, zueinander hingezogen fühlten und wurden Freunde! Mit ihm habe ich dann sehr viel Zeit verbracht, reden, lachen, weinen, die Gegend kennenlernen und, und, und.

Die Zeit im Adaptionshaus war abgelaufen, der Freund hatte sich in Koblenz eine Wohnung genommen, ich etwas außerhalb, wir haben uns oft besucht, sind in die gleiche Gruppe gegangen, denn eine Gruppe besuchen war eine der Pflichten im Adaptionshaus.

Rückblickend weiß ich, dass ich erst in dieser Zeit, wo ich bewusst und nüchtern in meiner ersten, eigenen kleinen Wohnung gewohnt habe, richtig erwachsen geworden bin. Ich fand es aber auch herrlich eine Wohnung ganz für mich alleine zu haben, sie ganz nach meinem Geschmack gestalten zu können, habe ich ja noch nie so gehabt! Aber mir ist auch da erst mal klargeworden, dass ich alles alleine entscheiden kann und muss und auch dieses ganz allein vertreten muss, eine sehr prägende Erkenntnis für mich. 

In der Gruppe habe ich dann einen Mann kennengelernt, mich in ihn verliebt, er war für eine Zeit mein Lebensgefährte. Er, Vater von zwei jugendlichen Mädchen, alleinerziehend, wohnte in Linz. So lernte ich das wunderschöne Linz kennen. Da ich bei der Arbeitssuche überhaupt kein Glück hatte, wurde mir vom Arbeitsamt vorgeschlagen, den Busführerschein zu machen. Das habe ich dann gemacht, ganz easy, in Koblenz mit dem riesigen Teil fahren, war ja gar nicht schwer. Die erste Fahrprüfung habe ich vollkommen vergeigt. Ich war furchtbar nervös und stand sehr unter Druck, hatte ich doch schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben. 

Das war das erst Mal in meinem ganzen Leben, wo ich was nicht auf Anhieb geschafft habe. Aber natürlich war es ja auch das erste Mal überhaupt in meinem Leben, so eine Situation ohne Hilfsmittel, sprich Alkohol, zu meistern. Das Scheitern war für mich überhaupt nicht schlimm! Ich habe mir gesagt, ich muss nicht immer alles auf Anhieb schaffen. Keiner wollte es glauben, dass ich durchgefallen war, ich wirkte doch immer noch auf alle wie die Anne von früher, die doch alles „mit Links“ macht! Aber beim zweiten Anlauf hatte ich es dann geschafft! Stolz wie Oskar war ich! 

In der Zeit, wo ich in Koblenz gewohnt habe, den Freund hatte, der ja auch ein trockener Alkoholiker und alleinerziehend war, bin ich nicht immer mit allem so fertig geworden, mit den Problemen, die es in der Partnerschaft gab, auch wegen den Kindern, so dass ich auch wohl mal ganz schön „Saufdruck“ hatte. Um nur ja nicht rückfällig zu werden, habe ich mich dann dort an die Caritas gewandt und hatte sehr gute Gespräche, die mir sehr geholfen haben, auch lange danach noch, als ich mit der Belastung des Busfahrens nicht mehr fertig wurde.  

Da ich in der Gegend von Linz fahren musste und mein Freund ja auch dort wohnte, bin ich auch dahingezogen. Mein Freund wäre gerne mit mir zusammengezogen, aber das wollte ich nicht. Als der Umzug von Koblenz nach Linz anstand, kam mein jüngster Sohn um mir zu helfen. Er kam mit zwei großen Taschen und blieb! Was war mein Mutterherz froh. Nach ein paar Monaten lernte er seine Freundin kennen, fand Arbeit, die beiden zogen dann irgendwann zusammen. Nun wohnte nur noch mein ältester Sohn, alkohol- und drogenabhängig, und mein geschiedener Mann in meiner Heimatstadt.

In der ersten Zeit als ich in Linz wohnte, sind mein Freund und ich noch nach Koblenz in die Gruppe gefahren, ich auch noch zur Caritas für Gespräche, aber irgendwann hatte ich keine Kraft mehr dafür, ging auch mit den Arbeitszeiten überhaupt nicht mehr! 

Ich fuhr also Bus, aber das war so anstrengend, ohne Ortskenntnisse, der Arbeitstag so lang, viele Ängste bauten sich auf, ich bekam - Gott sei Dank für mich -  enorme Probleme mit einem Fuß, musste zweimal operiert werden und war somit erst mal raus aus der Nummer.

In der Zeit wo ich keine Arbeit hatte, merkte ich, wie einsam ich mich doch in Linz fühlte, viel zu wenige Kontakte! Habe also nach einer Gruppe gesucht, gedacht so kann ich wenigstens Kontakte aufbauen. So war es dann auch. Derjenige, der damals die Gruppe geleitet hat, hatte in der Nähe von Linz ein Haus gemietet, wo Männer nach der Therapie in einer WG zusammenwohnen können, die halt nicht mehr zurück nach Hause können oder wollen. Da ich Zeit hatte, habe ich mich auch da eingebracht und dadurch einen sehr guten Freund kennengelernt. Auch meine liebe Freundin habe ich in der Gruppe kennengelernt. In diese Gruppe bin ich aber immer allein gegangen, ohne meinen Freund. Heute noch ist es „Meine BKE Gruppe“.

Nach etlichen Monaten, eine neue Arbeitsstelle hatte ich immer noch nicht, egal wo und wofür ich mich beworben hatte, nur Ablehnungen. Aber Busfahrerinnen wurden gesucht. Da habe ich mir gedacht, jetzt wo ich doch schon die Gegend kenne, weiß wie das so abläuft mit dem Busfahren, geht das doch bestimmt einfacher, wie bei meinem ersten Versuch. Also nahm ich noch mal so eine Arbeitsstelle an, wollte doch auch unbedingt eine Arbeit haben, irgendwie dazu gehören, Geld haben, um mir mal was leisten zu können. 

Ja, ich hätte mir ab da was leisten können, hatte dafür aber gar keine Zeit und Energie mehr. Kurz: das war wohl nichts! Nicht für mich! War nach sehr kurzer Zeit so überfordert, habe abgenommen ohne Ende, konnte nicht mehr schlafen, mein Hausarzt legte mir nahe, den Job aufzugeben, ich war dafür nicht gemacht! Und das tat ich dann auch, sah ich doch selbst eine sehr große Überforderung darin. 

Also wieder mal keine Arbeit, dafür aber gute Kontakte, besonders zu einem Freund aus der WG. Dieser hatte zu dieser Zeit keinen Führerschein, dafür aber ein Auto. Öfters habe ich ihn hier- und dorthin gefahren oder wir haben zusammen schöne Ausflüge gemacht. Dieser Freund kam aus einer Gegend nahe meiner alten Heimat, hatte da auch des Öfteren zu tun. Sind da dann oft zusammen hingefahren, haben auch meine Mutter dann besucht und auch meinen ältesten Sohn, der mir ja viele Sorgen machte. 

Durch meinen ältesten Sohn wusste ich auch immer ungefähr, wie es meinem geschiedenen Mann ging. Irgendwann erzählte mir mein Sohn dann, dass mein geschiedener Mann in einem Krankenhaus lag, wo er zur Entgiftung hingegangen ist, aber dann sehr krank geworden ist. Er hatte wohl mehrmals im Delirium gelegen und hatte dann auch noch eine schwere Lungenentzündung dazu bekommen. Das tat mir natürlich sehr weh und ich habe lange überlegt, was ich machen soll. Ich wollte nicht noch mal in meinem Leben denken, „warum habe ich ihn nicht noch einmal besucht!“ Das war damals bei meinem Vater so. Ich konnte ihn nicht besuchen als er schwer verletzt im Krankenhaus lag, dazu waren meine ganzen Verletzungen noch viel zu groß und schmerzhaft. Kurz darauf ist er leider sehr jung verstorben. Lange habe ich darunter gelitten und mir schwere Vorwürfe gemacht. Das wollte ich nicht noch einmal erleben!

Also bin ich meinen geschiedenen Mann besuchen gefahren. Als ich in das Zimmer kam, hatte er Besuch von einem Bekannten, der an seinem Bett saß. Er, für mich war er immer mein Mann, sagt nur zu seinem Bekannten: „Ach schau, da ist sie ja.“ Als wenn es das Selbstverständlichste von der Welt wäre, dass ich da auf einmal im Zimmer stehe. Mein Mann war sehr abgemagert, konnte nicht ohne Hilfe gehen. Der Bekannte hat sich bald darauf verabschiedet und ich habe meinen Mann im Rollstuhl nach draußen zum Rauchen und ins Café gefahren. Ganz viel haben wir nicht gesprochen, ich weiß wohl, dass ich ganz schön aufgeregt war. Als ich dann später bei meiner Mutter war, konnte ich ihr auch nur sagen, dass es sich für mich gut und richtig angefühlt hat, ihn besucht zu haben. 

Dann habe ich versucht, nicht mehr zu oft an ihn zu denken. 

Durch unseren ältesten Sohn habe ich dann wohl erfahren, dass mein Mann tatsächlich dann in eine Therapie gegangen ist, was ich nie gedacht hätte, mich gefragt habe, warum nicht damals?

Eines Tages dann, ich war mit einem Freund auf dem Weg zu meiner Mutter, da klingelt mein Handy und mein Mann ist dran und bat um ein Gespräch über unseren ältesten Sohn, der zu der Zeit noch bei ihm wohnte, Drogen nahm, trank, und, und, und! Dass ich ihm anbot, mich später mit ihm zu treffen - war ich doch auf dem Weg dorthin - hat ihn dann sehr überrascht. Wir haben dann einen Treffpunkt vereinbart, wo ich ihn dann später abgeholt habe, ich war ja mit dem Auto unterwegs, er hatte auch in seiner Trinkerzeit seinen Führerschein verloren. Als ich dann da stand und er auf mich zu kam, war ich doch sehr erstaunt, wie gut er aussah und sich erholt hatte! Außer an seinem Gang erinnerte nichts mehr an den Mann, den ich im Krankenhaus besucht hatte. Wir sind ein Stück aus der Stadt herausgefahren und haben uns dann irgendwo hingestellt, wo wir reden wollten. Er hat mir von unserem Sohn berichtet, was mir sehr weh getan hat. Was aber noch viel mehr überlagert wurde von den Gefühlen in mir! Ich habe die ganze Zeit nur gedacht: „Nimm mich ENDLICH wieder in Deine Arme!“ Was ich dann auch irgendwann gesagt habe und er getan hat! Ich musste weinen, hab ihm gesagt: „Ich fühle mich so alleine, bin nicht so stark wie ich wirke!“ Er hat mir doch immer gefehlt! Ein sehr starkes Gefühl war da, ein Angekommensein, ein nach Hause kommen! 

Die Zeit, die ich angegeben hatte wieder bei meiner Mutter zu sein, war viel zu schnell da! Ich brachte ihn zurück, fuhr zu meiner Mutter, sie sah mich nur an und musste weinen, ich habe wohl so gestrahlt. Aber ich konnte so nichts sagen, mein Mann hatte zu der Zeit noch eine Lebensgefährtin. Wir hatten darüber nicht gesprochen, aber wenn das was ernstes gewesen wäre, hätte ich mich niemals da rein drängen wollen. 

Da mein Mann noch im Sauerland in Therapie war, nur ein paar Tage zu Hause, habe ich ihm dann angeboten, ihn dorthin zu fahren als er zurück musste. Das hat er dann dankbar angenommen, für mich war das eine riesige Fahrerei, aber was tut man nicht alles aus Liebe und wenn man Schmetterlinge im Bauch hat. Wir sind dann da im Sauerland spazieren gegangen, Hand in Hand, es fühlte sich so richtig an. Dann kam für mich ein sehr wichtiger und sehr großer Liebesbeweis von meinem Mann: er wollte für uns ein Paargespräch mit seiner Therapeutin machen! So was wäre früher undenkbar gewesen, er hat alles Therapeutische immer weit von sich gewiesen! Aber jetzt ist ja nicht mehr früher!!!!!!

Alles Weitere ist schnell erzählt. Seine Therapeutin hat sich sehr gewundert, wie rasant er sich ab da erholt hat. Meine Liebe hat ihm sehr viel geholfen hat er gesagt. Auch wenn ich anfangs Bedenken gehabt habe, gerade weil er doch noch in Therapie war und ich doch wusste wie wichtig das für einen selbst ist. Aber es war und ist so richtig gewesen. 

Irgendwann in einem Gespräch ergab es sich, dass wir über seine Zeit in dem Krankenhaus, wo er zur Entgiftung war und so schlimm gelegen hat, gesprochen haben. Da stellte sich dann raus, dass er gar nicht wusste, dass ich ihn da besucht habe. Das hat mich dann doch sehr schockiert! 

Lange Zeit sind mein Mann und auch ich gependelt zwischen Münsterland und Rheinland, es war abzusehen, dass seine Arbeitsstelle gestrichen wird. Unser ältester Sohn hat irgendwann mal eine Entgiftung, leider keine Therapie, gemacht, und ist dann ins Methadonprogramm gekommen. Dann ist er soweit gewesen und ist hier in der Nähe in die Männer WG gezogen. Heute lebt er betreut in einer eigenen Wohnung mit seinem Kater. Dann war es auch für meinen Mann und mich soweit, die Arbeitsstelle war gestrichen worden, mein Mann konnte endlich ganz zu mir kommen. 

Happyend!!!!!! Wir haben wieder geheiratet, sind beide glücklich und zufrieden abstinent lebende Alkoholiker und dankbar für das, was uns bis hierhin gebracht hat!

Also: Niemals die Hoffnung aufgeben!  

Eure Anne  

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