Erwin

Das Leben eines Spielers

Eine Lebensgeschichte

Leben eines Spielers

Als drittes Kind von vier Söhnen wurde ich im August 1964 in eine Familie mit einer sehbehinderten Mutter und einem schwer alkoholkranken und gewalttätigen Vater hineingeboren. Meine Kindheit lässt sich schnell zusammenfassen. Sie war geprägt von der Alkoholsucht sowie den Wutausbrüchen meines Vaters und dem ständigen Kampf um Anerkennung innerhalb meiner Familie. Mein schulischer Werdegang lässt sich als sehr dürftig beschreiben, weshalb ich die Schule nach der siebten Klasse ohne einen Abschluss verließ.

1980 versuchte ich mich an einer Ausbildung zum Maurer, musste mir jedoch schnell eingestehen, dass diese mich überforderte. So brach ich diese Ausbildung am Ende ab. Im darauffolgenden Jahr wendete sich das Blatt und ich lernte meine große Liebe kennen. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas Wert zu sein und jemandem zu genügen durch die Geborgenheit, die ich von ihr erfuhr. Endlich hatte ich auch etwas, woran mein Vater Gefallen fand. So präsentierte ich meine Freundin voller Stolz bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Leider erkrankte sie schwer an einem Krebsleiden und verlor den Kampf nur wenige Jahre später.

Das Jahr 1986 leitet den Beginn meiner Spielerkarriere ein. Vom ersten Wehrsold stattete ich dem Spielautomaten am Essener Hauptbahnhof einen sehr erfolgsversprechenden Besuch ab. Ich gewann 350 DM. Im gleichen Jahr verstarb auch meine Mutter. Mit diversen Gelegenheitsjobs finanzierte ich meinen immer stärker werdenden Drang noch eine Runde am Spielautomaten zu sitzen.

Ein neuer Lebensabschnitt begann 1990 für mich. Ich lernte eine weitaus jüngere Frau kennen und lieben. Ich absolvierte meine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Doch immer wieder trug ich mein verdientes Geld in die Spielhalle und verlor letztendlich sogar meine Wohnung, da ich keine Miete mehr zahlen konnte. Der erste Lichtblick war unser gemeinsamer Umzug nach Münster. Dort schaffte ich es fast zwei Jahre „spielfrei“ zu bleiben. Doch dies sollte nicht so bleiben. Ich wurde im Sommer 1999 rückfällig. Wieder versuchte ich einen Neustart und eröffnete ein Fachgeschäft für Hundebedarf.

Das nächste Jahr war von positiven sowie negativen Einflüssen gekennzeichnet. Kurz gesagt: Pleite des Geschäfts und die Hochzeit mit meiner Freundin. Es sollte zunächst gut weitergehen. Ich wurde fest als Kraftfahrer angestellt und fuhr nebenbei noch Taxi. Leider wusste ich mit dem verdienten Geld nichts Besseres anzufangen als es immer wieder in die Spielhallen zu tragen. Ein neuer Lichtblick war die Geburt unseres gemeinsamen Sohnes im Jahr 2001. Ich versuchte ein guter Ehemann und Vater zu sein. Es war wohl zu spät. Zu tief war ich in der Spielsucht verankert. Mit meiner Frau konnte ich darüber nicht reden. So sehr ich es auch wollte und mich bemühte, sie war zu sehr mit der Schadensbegrenzung hinsichtlich unseres wirtschaftlichen Zusammenbruchs beschäftigt.

Im Dezember 2001 suchte ich erstmals eine Psychologin auf. Ich wurde in eine psychosomatische Klinik eingewiesen und ließ meine Frau und unseren Sohn im von mir verursachten Elend zurück.

Nach Beendigung der Therapie dachte ich mal wieder ich hätte alles im Griff. Ich begann wieder mit dem Taxi fahren und spielte das „Mädchen für alles“ in meiner neuen Firma. Nach gut einem halben Jahr streckten die Spielautomaten aber wieder ihre gefährlichen Tentakel nach mir aus und nahmen mich wieder einmal gefangen. Ich verzockte selbst Geld, was mir nicht gehörte. Mietschulden, Gas, Wasser, Strom sowie die Autoversicherung... nichts wurde mehr bezahlt. Ich verlor völlig den Überblick und suchte wieder einmal Halt bei den Spielautomaten. Meiner Frau wurde der Ernst der Lage immer bewusster und sie forderte mich auf erneut in Therapie zu gehen. Anstatt eine Therapie zu beginnen, hielt ich es für klug mich räumlich zu trennen und zu meinem Bruder zu ziehen. Dort frönte ich dann weiter meiner Spielsucht. Das Ergebnis war die Scheidung von meiner Frau.

2004 zurück in Essen. Neue Wohnung, wieder einmal kein Geld, geschieden, kein Ausweg in Sicht. So landete ich in der Psychiatrie und zockte während meines Aufenthaltes dort weiter. Ich musste mir eingehstehen, dass es so nicht weitergehen konnte und stellte nach meiner Entlassung einen Antrag auf gesetzliche Betreuung, um der Lage Herr zu werden. So kam ich für sieben Monate in einem Männerwohnheim unter, um erst einmal Fuß zu fassen. Doch wer glaubt ich hätte der Zockerei durch die gesetzliche Betreuung abgeschworen, der irrt sich. Die Starthilfe von fast 3000 Euro verzockt, lebte ich in einer unrenovierten Wohnung.

Der amtliche Betreuer, aus meiner Sicht hoffnungslos überfordert, wurde durch einen neuen Betreuer ersetzt. Es stellte sich eine sehr kompetente Dame als meine neue Betreuerin vor. Sie konfrontierte mich mit meiner finanziellen Situation und verhalf mir so langsam aber sicher zu einem bescheidenen aber geregelten und für mich wieder lebenswerten Leben. Ich bezog Hartz IV und wollte etwas tun. Bei der Diakonie bekam ich einen 1€ Job und konnte mich dort im Fahrdienst beweisen. Hier lernte ich im April 2007 meine spätere Frau kennen. Ich legte alle meine Probleme, Sorgen und Verfehlungen offen. Und es schien zunächst auch alles prima zu funktionieren.

Sie übernahm den finanziellen Part in unserer Ehe, sodass ich nicht in Versuchung geraten konnte. Doch nach und nach merkte ich, dass mich dieser Zustand immer mehr blockierte und ich mich zusehends unwohler und unter Druck gesetzt fühlte. Wieder suchte ich die Flucht im Spiel. Im August 2010 verlor ich aufgrund der Eheprobleme meinen Job und wurde wieder depressiv. Ich sehnte mich wieder nach einer gesetzlichen Betreuung, welche ich zuvor auf Drängen meiner Frau beendet hatte. Im Jahr 2012 landete ich schließlich wieder in der Psychiatrie. Es folgte schließlich die Trennung von meiner Frau.

Im gleichen Jahr schloss ich mich einer Spieler-Selbsthilfegruppe an, welche mir Rückhalt gab und weiterhin gibt. Ich bin ein Gleicher und Gleichen. Ich liebe die Menschen in meiner Selbsthilfegruppe. Wir sind offen, ehrlich, direkt und dennoch höflich im Umgang miteinander. Diese Gruppe stützt mich in meinem Bestreben Suchtfrei zu leben. Es kam bis zum März 2018 zu kleinen Unfällen, die ich nicht als Rückfall bezeichnen möchte. Doch seit diesem Zeitpunkt bin ich „spielfrei“.

Euer Erwin

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