Gemeinsame Forderung der 5 Sucht-Selbsthilfeverbände zur Verminderung alkoholbedingter Gesundheitsschäden
Die in der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zusammengeschlossenen, bundesweit tätigen Verbände der Sucht-Selbsthilfe (Blaues Kreuz in Deutschland e. V., Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche Bundesverband e. V., Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e. V., Guttempler in Deutschland e. V. und Kreuzbund e. V.) begleiten mit einer Vielzahl an niedrigschwelligen Hilfeangeboten Menschen auf ihrem Weg in ein suchtfreies Leben. Vor, während und nach professioneller therapeutischer und medizinischer Hilfe sowie unabhängig davon, können die Betroffenen von diesen Möglichkeiten profitieren. Die bundesweit tätigen Sucht-Selbsthilfeverbände bieten in über 6.000 Selbsthilfegruppen Hilfe an und halten zahlreiche digitale Möglichkeiten für Hilfesuchende bereit, sich auszutauschen oder beraten zu lassen.1 Auch wenn diese Fülle unterschiedlichster Angebote für Hilfesuchende suchtmittelübergreifend ist, so ist das legale Suchtmittel Alkohol nach wie vor von größter Bedeutung. Gerade die Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Allgegenwärtigkeit alkoholischer Produkte macht es Menschen schwer, alkoholfrei zu leben. Es ist das am häufigsten konsumierte psychoaktive Suchtmittel in Deutschland und das einzige, dessen Konsum gesellschaftlich weitgehend akzeptiert ist und bei vielen Gelegenheiten oft sogar erwartet wird. Alkohol kann nicht nur abhängig machen, sondern ist insgesamt gesundheitsschädlich. Über 200 Erkrankungen sind auf Alkoholkonsum2 zurückzuführen, sodass dadurch der Gesundheitsstatus der Gesellschaft insgesamt negativ beeinflusst wird.
Die Sucht-Selbsthilfeverbände beschränken sich daher nicht auf die Unterstützung und Hilfe für die Einzelperson, sondern nehmen auch Einfluss auf gesellschaftliche und gesundheitspolitische Rahmenbedingungen, um Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen und ihnen ein suchtmittelfreies Leben zu ermöglichen.
Unsere Forderungen
Die Sucht-Selbsthilfeverbände sind sich einig, dass der Schutz der Gesundheit Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Alkoholindustrie haben muss und dass verhaltenspräventive Maßnahmen durch wirksame verhältnispräventive Maßnahmen ergänzt werden müssen. Mit den verhältnispräventiven Maßnahmen wollen wir im Wesentlichen die Veränderungen des Umfeldes, von Sichtweisen und der Strukturen erreichen. Es handelt sich also um einen Ansatz, der in Form legislativer Regelungen eine breite Wirkung in der Gesellschaft insgesamt erzielen soll.
Die Umsetzung solcher Maßnahmen ist in der Europäischen Union noch wenig verbreitet und liegt in Deutschland zusätzlich noch deutlich unter dem Standard der europäischen Nachbarländer3. Unsere Forderungen basieren sowohl auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch auf den Erfahrungen unserer Mitglieder und der Hilfesuchenden, die unsere Selbsthilfeangebote in Anspruch nehmen. Sie orientieren sich an der Alkoholstrategie der WHO4 und zielen auf wirksame und rechtlich verbindliche Rahmenbedingungen ab, um den Alkoholkonsum insgesamt und seine gesundheitsschädlichen Folgen in Deutschland zu reduzieren. Wir halten folgende Regelungen für dringend erforderlich:
Alkoholische Getränke müssen teurer werden.
Höhere Steuern führen zu höheren Preisen und schaffen Anreize, weniger Alkohol zu trinken5. Dies gilt nachweislich auch für Menschen, die häufig Alkohol konsumieren. Eine deutliche Erhöhung der Verbrauchssteuern und eine einheitliche Besteuerung aller alkoholischen Produkte auf Basis des Alkoholgehalts, unabhängig von der Art des Getränks, ist notwendig. Letzteres verhindert, dass die Konsument*innen auf billigere Produkte ausweichen.
Die Verfügbarkeit alkoholischer Getränke muss verringert werden.
Alkoholische Getränke sind weder Lebensmittel noch lebensnotwendig6 und müssen daher nicht rund um die Uhr erhältlich sein. Wir halten daher Regelungen für erforderlich, die den Verkauf und die ständige Verfügbarkeit einschränken. So kann die Verfügbarkeit von Alkohol dadurch verringert werden, indem das Mindestalter für die Abgabe aller alkoholischen Getränke auf 18 Jahre angehoben wird und der Verkauf in abgetrennten Bereichen mit obligatorischer Alterskontrolle erfolgt. Darüber hinaus sollten die Verkaufszeiten für alkoholische Getränke deutlich eingeschränkt werden und der Verkauf nicht an Orten stattfinden, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten. Letzteres würde dazu beitragen, dass Menschen mit Alkoholproblemen sichere Orte zum Einkaufen finden.
Werbung und Sponsoring für alkoholische Getränke müssen eingeschränkt und stärker reguliert werden.
Werbung fördert den Verkauf von alkoholischen Getränken, was zu einer Zunahme des Konsums in der Gesellschaft und damit auch zu einer Zunahme der gesundheitlichen Folgen führt. Die Präsenz von Alkoholwerbung im öffentlichen Raum in Deutschland ist enorm. Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen der Menge an Werbung und dem früheren Beginn des Alkoholkonsums bei Jugendlichen7. Darüber hinaus sind Menschen mit einer Alkoholkonsumstörung sowie Menschen, die versuchen, ihre Abhängigkeitserkrankung zu überwinden und noch rückfallgefährdet sind, besonders anfällig für Alkoholwerbung. Werbebeschränkungen für Alkohol sollten auch für alkoholarme und alkoholfreie Produkte unter Markennamen gelten, die von alkoholhaltigen Produkten geführt werden8. Die Industrie wirbt für alkoholfreie Marken, die fast identisch mit alkoholischen Marken sind, um Regulierungen zu umgehen. Dadurch wird jedoch das alkoholische Produkt genauso beworben wie das alkoholfreie Produkt, das in der Regel einen wesentlich geringeren Anteil am Gesamtabsatz hat.
Alkoholische Getränke müssen mit Warnhinweisen etikettiert werden. Der Inhalt von alkoholischen Getränken muss wie bei Lebensmitteln generell angegeben werden.
In Deutschland gibt es derzeit keine generelle Warnhinweispflicht für alkoholhaltige Getränke. Die Lebensmittelverordnung schreibt lediglich die Angabe des Alkoholgehalts bei verpackten Getränken mit mehr als 1,2 Volumenprozent Alkohol vor. Warnhinweise zu den gesundheitlichen Risiken des Alkoholkonsums auf allen Verpackungen alkoholischer Getränke fördern die Gesundheitskompetenz und tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Risiken des Alkoholkonsums zu schärfen und den Konsum zu reduzieren9. Stündlich wird in Deutschland ein Kind mit unheilbaren Alkoholschäden (FASD) geboren, dem mit entsprechenden gut sichtbaren Warnhinweisen für Schwangere auf jedem alkoholhaltigen Getränk begegnet werden kann10.
Darüber hinaus fordern wir eine generelle Kennzeichnung des Alkoholgehalts von Getränken und Lebensmitteln, um unerwünschtem Alkoholkonsum vorzubeugen. Unerwünschter Alkoholkonsum betrifft nicht nur die Ernährung von Kindern, sondern auch Schwangere und suchterkrankte Menschen, bei denen schon kleinste Mengen und der Geruch von Alkohol zu Rückfällen führen können.
Hintergründe
Entgegen weit verbreiteter Annahmen zeigen Studienergebnisse, dass es keinen harmlosen und schon gar keinen gesundheitsfördernden Alkoholkonsum gibt.11
In der Alkoholprävention stand lange Zeit die Verhinderung von sogenanntem »Missbrauch« oder Abhängigkeit durch Maßnahmen zur Veränderung des Verhaltens von Individuen im Vordergrund. In den letzten Jahren haben jedoch verhältnispräventive Maßnahmen an Bedeutung gewonnen. Sie zielen auf die Kontrolle, Verringerung oder Beseitigung von Gesundheitsrisiken ab und nehmen Einfluss auf gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass verhältnispräventive Maßnahmen besonders wirksam sind, um Einstellung und Verhalten im Umgang mit Alkohol zu beeinflussen12. Sie sind kostengünstig und führen zu einer Verringerung des Alkoholkonsums und der damit einhergehenden Gesundheitsschäden. Die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation sehen Verhältnisprävention als die wichtigste Maßnahme, um Alkoholerkrankungen zu vermeiden. Sie empfehlen u.a. die Besteuerung von Alkoholprodukten, um die Preise zu erhöhen, die Beschränkung der Verfügbarkeit und Verbote bzw. umfassende Einschränkungen für Werbung, Marketing und Sponsoring13. Deutschland belegt im europäischen Vergleich häufig hintere Plätze, wenn es um Maßnahmen und Gesetze gegen durch Alkoholkonsum verursachte Schäden geht: Deutschland tut sich schwer damit, Alkohol angemessen zu verteuern und seine ständige Verfügbarkeit einzuschränken.
Die Alkoholindustrie präsentiert sich als verantwortungsbewusste Branche, welche auf Selbstverantwortlichkeit und Selbstregulierung setzt. Mit unterschiedlichen Strategien versucht sie in Deutschland, Europa14 und weltweit15 durch ihre Lobbyarbeit wirksame verhältnispräventive Maßnahmen zur Alkoholpolitik zu verhindern. Sie stellt die Rechtmäßigkeit von Regulierungsmaßnahmen wie Altersbeschränkungen, Werbeverbote oder Steuererhöhungen für alkoholische Produkte in Frage und verhindert oder verzögert damit wichtige Ansätze zur Verhältnisprävention16. Wissenschaftliche Studien, die die negativen Folgen des Alkoholkonsums auf die Gesundheit und die Gesellschaft herunterspielen oder anzweifeln17, werden von Alkoholherstellern unterstützt.
Alkoholbedingte Krankheiten sind vermeidbare Krankheiten und dennoch gelingt es der Alkoholindustrie, ihre eigenen kommerziellen Interessen gegen wirksamen Gesundheitsschutz und wirksame Maßnahmen der Gesundheitsförderung durchzusetzen und zu festigen. Diese Einflüsse der Alkoholindustrie auf die menschliche Gesundheit werden als kommerzielle Determinanten der Gesundheit18 (Commercial Determinants of Health, CDoH) bezeichnet. Sie verursachen Gesundheitsschäden, deren Kosten jedoch auf die Gesellschaft abgewälzt werden.
Fazit
Aus all den genannten Gründen fordern die Verbände die zeitnahe Umsetzung der beschriebenen alkoholpolitischen Maßnahmen, um die individuellen und gesellschaftlichen Schäden, die durch Alkohol verursacht werden, zu verringern.
1 Naundorff, J.; Kornwald, C.; Bosch, A.; Hansen, B.; Janßen, H.-J. (2018): Statistik 2017 der fünf Sucht-Selbst- hilfe- und Abstinenzverbände. Verfügbar unter https://www.dhs.de/suchthilfe/sucht-selbsthilfe
2 Weltgesundheitsorganisation (2022): Fact Sheet Alcohol. Verfügbar unter https://www.who.int/news- room/fact-sheets/detail/alcohol
3 OECD (2021): Preventing Harmful Alcohol Use in Germany. Verfügbar unter https://www.oecd.org/ger- many/Preventing-Harmful-Alcohol-Use-Key-Findings-GERMANY.pdf
4 Weltgesundheitsorganisation (2010): Global strategy to reduce the harmful use of alcohol. Verfügbar unter https://www.who.int/teams/mental-health-and-substance-use/alcohol-drugs-and-addictive-behaviours/al- cohol/governance/global-alcohol-strategy
5 Paraje, G.R.; Jha, P.; Savedoff, W. et al. (2023): Taxation of tobacco, alcohol, and sugarsweetened beverages: reviewing the evidence and dispelling the myths. Verfügbar unter doi:10.1136/bmjgh-2023-011866
6 Babor, T.F.; Casswell, S.; Graham, K.; Huckle, T.; Livingston, M.; Rehm, J. et al. (2022): Alcohol: No Ordinary Commodity – a summary of the third edition. Verfügbar unter https://doi.org/10.1111/add.16003
7 Boniface, S.; Critchlow, N.; Severi, K.; MacKintosh, A. M.; Hooper, L.; Thomas, C.; Vohra, J. (2022): Underage Adolescents’ Reactions to Adverts for Beer and Spirit Brands and Associations with Higher Risk Drinking and Susceptibility to Drink: A Cross-Sectional Study in the UK. Verfügbar unter https://doi.org/10.1093/alcalc/agab018
8 Critchlow, N.; Holmes, J.; Fitzgerald, N. (2024): Alibi marketing? Surrogate marketing? Brand sharing? What is the correct terminology to discuss marketing for alcohol-free and low-alcohol products which share branding with regular strength alcohol products? Verfügbar unter https://doi.org/10.1111/add.16504
9 Edmunds, C.E.R.; Gold, N.; Burton, R. et al. (2023): The effectiveness of alcohol label information for increasing knowledge and awareness: a rapid evidence review. Verfügbar unter https://doi.org/10.1186/s12889-023- 16327-x
10 FARE (2023): Poll snapshot: Pregnancy health warning on alcoholic products. Verfügbar unter https://fare.org.au/poll-snapshot-recall-of-the-pregnancy-health-warning-on-alcoholic-products/
11 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2023): Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol. Verfügbar unter https://www.dhs.de/unsere-arbeit/stellungnahmen
12 Rehm, J.; Badaras, R.; Ferreira-Borges, C.; Galkus, L.; Gostautaite Middthun, N. et al. (2023): Impact of the WHO »best buys« for alcohol policy on consumption and health in the Baltic countries and Poland 2000–2020. Verfügbar unter https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(23)00123-0/fulltext
13 Weltgesundheitsorganisation (2018): The SAFER Initiative. Verfügbar unter https://www.who.int/initiati- ves/SAFER
14 Hüllinghorst, R. (2023): Alkohollobbying in Europa. Verfügbar unter https://www.suchtmagazin.ch/maga- zin/geschaeftsmodell-sucht-2023-03-04
15 O'Brien, P.; Dwyer, R.; Gleeson, D.; Cook, M.; Room, R. (2023): Influencing the global governance of alcohol: Alcohol industry views in submissions to the WHO consultation for the Alcohol Action Plan 2022-2030. Verfüg- bar unter https://doi.org/10.1016/j.drugpo.2023.104115
16 Dünnbier, M. (2020): Vier Anhaltspunkte zur Erklärung des grundlegenden Interessenkonflikts der Alkoholin- dustrie. Verfügbar unter https://www.alkoholpolitik.de/konkret/271-vier-anhaltspunkte-zur-erklaerung-des- grundlegenden-interessenkonflikts-der-alkoholindustrie
17 McCambridge, J.; Mitchell, G.; Lesch, M.; Filippou, A.; Golder, S., Garry, J. et al. (2023): The emperor has no clothes: a synthesis of findings from the Transformative Research on the Alcohol industry, Policy and Science research programme. Verfügbar unter https://doi.org/10.1111/add.16058
18 Alkoholpolitik.de (2023): Kommerzielle Determinanten von Gesundheit. Verfügbar unter https://www.alko- holpolitik.de/konkret/gesundheit/kommerzielle-determinanten